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Schocktober | Der Mutstein | Einblick in die Welt der Kinder

  • von

Während eines Termins:

Kind: Spielst du auch Spiele mit Erwachsenen?

Ich: Klaro (Meine Gedankenliste: zensiert)

Kind: Und welche magst du gern?

Ich: Das ist eine spannende Frage, lass mich bitte kurz nachdenken. (Unzensierte Liste in Bearbeitung, als Zeitpuffer eine Gegenfrage). Fällt dir eins ein?

Kind: Ja, aber ich weiß nicht wie es heißt.

Ich: Magst du es mir erklären? Vielleicht kenne ich es ja.

Kind: Wenn ich mit meiner Mama rausgeh, dann spielt das unsere Nachbarin immer.

Ich: Ok und wie geht das Spiel?

Kind: Ich rufe ganz laut Hallo und winke meiner Nachbarin. Die Nachbarin sagt nichts und bleibt ganz kurz stehen. Doch fällt mir immer ein, dass Mama sagt, ich soll nicht einfach auf die Straße laufen. Ich schaue nach unten wo der Randstein ist, bis dahin darf ich laufen.

Ich: Toll, dass du dran denkst, stehenzubleiben. Jetzt bin ich ganz neugierig wie es weiter geht.

Kind: Wenn ich wieder zur Nachbarin schaue, dann ist sie weg.

Ich: Mhm. Und was kommt dann?

Kind: Beim nächsten Mal machen wir es wieder so.

Ich: Ich verstehe. Und mit welcher Nachbarin spielst du das?

Kind: Seit da Papa weg ist, spielt das die da drüben, die da vorne und auch die Eltern von meiner besten Freundin.

Nach dem Termin:

Nach dem Termin fragt die Mama wie es war, während ich noch daneben stehe.

Tochter (strahlend): Schön. Wir haben heute gebastelt und Namen für DAS Spiel gefunden.

Mama (mit wackliger fragender Stimme): Ok

Tochter: Also Mama „Verhext“, weil die so schnell weg sind. Oder „versteinert und verhext“, zuerst bleiben sie kurz stehen und das ist doch wie bei dem Spiel in der Schule, wenn es heißt „versteinert“ und danach sind sie weg gehext.
Oder „Angsthase“, weil ich nur kurz rufe und winke und sie Angst haben das was passiert und sie schnell weg sausen. Sonst sperren sie sich aus oder das Essen brennt an oder sie verpassen was am Fernseher. Da wurde da Papa doch auch so eklig, wenn er was verpasst hat.

Oder sie sind Angsthasen, weil es ein Spiel ist wo lachen verboten ist, so wie wir zwei es manchmal machen. Anschauen bis du oder ich zuerst lachen. Weil sie nicht verlieren wollen, gehen sie rein.

Mama (verdutzt): Ok

Tochter (mit einem Stein spielend in der Hand, ein Lächeln zeichnet sich langsam ab): Oder es ist kein Spiel und die dürfen noch mutig werden lernen, weil sie es auch doof finden, dass Papa ausgezogen ist und gar nicht wissen, wie sie sich jetzt ohne Papa fühlen.

Mama (berührt mit beschlagener Stimme): Da hast du richtig gute Ideen, das kann alles sein.

Tochter: Wenn die das bis zum nächsten Termin weiter spielen, dann machen wir
für die alle beim nächsten Mal auch Mutsteine.

Die Mutter blickt zu mir und ich spüre ihren angstvollen Blick, dass ihrer Tochter noch mehr die Welt in voller Härte zugemutet wird. Daher bringe ich mich ein und sage „Ich schreibe dann was zum Stein dazu, wenn’s recht ist.“, was etwa so lauten würde:


Liebe Frau Nachbarin,

kein Kind der Welt trägt für die Entscheidung der Eltern die Verantwortung. Jedes Kind möchte in einer stabilen liebenden Familie aufwachsen und kann auf die tiefe Erschütterung des Urvertrauens sehr gut verzichten.

Ein Kind ist auch nicht dafür verantwortlich, dass ein Elternteil alleinstehend ist und womöglich optisch anziehend wirkt. Gefühle von Eifersucht, Neid, Ängste, Widerstand etc. kennt jeder Mensch. Kinder fühlen sich aufgrund der Krise der Eltern schon verwirrt genug und lernen damit umzugehen, doch wenn Nachbarn auch noch komisch werden, weil die Mama nun solo und ein heißer Feger ist, ist das unfair, da das Kind auch dafür nichts kann.

Ein Kind muss allerdings mit den Konsequenzen der Trennung leben. Heißt viele fordernde Gefühle und Gedanken. Keine zwei Bezugspersonen wie gewohnt Zuhause, sondern nur eine Person. Dazu noch mehr Arbeit, damit das Zuhause erhalten bleiben kann und das Kind nicht noch das gewohnte (derzeit nicht grüßende) Umfeld verliert. Eine unbekannte und oft fordernde Situation, für einen jungen Menschen, der gerade erst Buchstaben lernt und die Zeit und Dauer noch nicht komplett erfassen und benennen kann. Dazu noch die innere Achterbahn der Gefühle, die auch noch nicht einsortiert werden kann.

Was sehr wohl erfasst wird, selbst wenn es nicht benannt werden kann, sind Nachbarn, die „komisch“ sind. Denn die Stimmung ist spürbar!

Liebe Nachbarin, da Sie sicherlich nicht kindgerecht erklären können oder möchten, was Tabuthemen, Scham, Konkurrenzdenken, Projektion, Überforderung und Angst sind, bitte ich Sie inständig darum, mir zu glauben, Mut zu fassen und wieder zu grüßen. Sie werden auf ein nicht nachtragendes Kind treffen, was sich herzlichst freut wenn es wirklich gesehen wird. Probieren Sie‘s!

Ihr persönlicher Mutstein

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